Die babylonische Nomenklaturverwirrung


Am 23. März erschien in einem Album des Österreichischen Standards, also einer bekannten Wiener Tageszeitung, ein Artikel unter dem Titel “Es wird schon nicht alles was werden”. Sehr sympathisch werden hier vier Personen des “Ersten Wiener Heimorgelorchesters” vorgestellt, die gutgelaunt über ihre Arbeit seit 1994 und zahlreichen Kooperationen mit Dichtern wie Ernst Jandl und Clemens J. Setz erzählen. Ihre Instrumente sind allesamt verschiedene Keyboards, Synthies oder Midis. Mit dem Begriff des “Heimorgelorchesters” wird auf den durchaus schrulligen Zugang zu deren Musizierweise hingewiesen, Assoziationen zu Zither- oder Mandolinenorchester liegen nahe. Ein Projekt, das voriges Jahr stattfand, lässt aufhorchen: “Wir haben im September vergangenen Jahres im Großen Sendesaal im Radiokulturhaus in Wien gespielt und auch die Kirchenorgel [sic!] dort verwendet, die Peter Frisée bedient hat […]”

Das Österreichische Orgelforum denkt nach: Ist im landläufigen Sprachjargon nun jede Pfeifenorgel eine “Kirchenorgel”? Im Englischen sind die Zuordnungen einfacher, da wird zwischen “digit organ”, “Hammond” und eben “pipe organ” unterschieden, egal ob diese nun in einer Kirche, einem “temple” oder in einem Konzertsaal steht. In den USA gibt es darüberhinaus noch die zahlreichen “theater organs” und vor allem an der Westküste die legendären “Pizza & Pipes”-Orgeln, im Deutschen meist als “Kinoorgeln” umschrieben. Dieser Blog will zu einer Diskussion anregen, wie wir in Zukunft mit Orgelbegriffen umgehen können, die eindeutig bleiben. Die älteren Generationen erinnern sich vielleicht noch an das “Wolfgang von Karajan”-Ensemble, wo auf mehreren Orgelpositiven mit Andacht hauptsächlich Bachs Kunst der Fuge interpretiert wurde. Diese Formation könnte man also ebenso als “Erstes Salzburger Heimorgelorchester” bezeichnen. Wie steht es um den Unterschied von Hausorgel zu “Heimorgel”? Habe ich nun ein “Hauptwerk” zu Hause stehen oder “eine” Hauptwerk? Wie sollten wir Hybrid-Instrumente bezeichnen? Ein bisserl dies, ein bisserl das? Ist eine große Pfeifenorgel mit einem elektronischen 32′ bereits ein hybridischer Bastard? Also, der Fragen gibt es viele und ich hoffe auf einen anregenden Informationsaustausch!


Thomas Schmögner, 10.4.2019

3 comments

  1. Ja, so…
    vereinfacht als Freund elektronischer Klänge: sinus – Flöte, sägezahn – streicher bis prinzipal, rechteck / puls – klarinette; das gilt bei synthesizern.
    die hammond ist additiv: sinus mit den speziellen klick und neben geräuschen von 16′ bis 1′. da können die obertöne durch die zugriegel (9 stück) lautstärkemässig differenziert dazugemischt werden; dh.: die orgel ist noch immer ein block – werk was oberton – mischung angeht. aber: orgel bleibt orgel; intonation im bau; artikulation und zäsuren im spiel
    So, ja…
    alexander wessetzky

  2. Leider steht mir die Diskussion bis zum Hals, mehr geht nicht rein.
    Orgel ist Orgel, Elektronik ist ein eigener Instrumententyp, ob analog oder digital ist gleich. Wie das klingt, richtet sich teils ja von selbst. Pech ist nur, dass die Elektronik praktisch alle Klangfarben wiederzugeben imstande ist. Das haben findige Leute benutzt, um eine kostengünstige Orgel-Alternative zu bauen. Wer das eine will, soll’s kaufen. Wer das andere will, auch, wenn es zu argumentieren ist. Worüber nicht geredet wird, ist doch, ob sich Musik adäquat darauf realisieren lässt. Zum Gemeindelied begleiten, tut’s schon lange eine Gitarre oder ein Keyboard. Letzteres ist längst akzeptiert. Auch im Unterreicht (Hört, hört). Wer mehr will, braucht halt ein adäquates Werkzeug.
    In einer Zeit permanenter Gewöhnung an Lautsprechertöne wird es jedoch immer schwerer, mit Klangqualitäten zu argumentieren. Ich zweifle immer mehr an der Überzeugungskraft unserer Argumente gegenüber durch Banalmusik geprägten Entscheidungsträgern und Zuhörern.

  3. Ich darf kurz an die ursprüngliche Idee dieses Blogs erinnern. Es gibt zahlreiche Haus-, Unterrichts- und Konzertorgeln, die sich im Laufe ihres Lebens zu Kirchenorgeln verwandelt haben (etwa in Wien Peterskirche Chororgel, Sandleiten oder Dornbach). Es gibt auch umgekehrte Fälle in diversen Orgelmuseen in Europa und Amerika. Aber es sind allesamt Pfeifenorgeln. Aber weder die Orgeln des ORF, des Musikvereins oder des Konzerthauses sind “Kirchenorgeln” und werden es auch nie werden. Auch die alte Buckow der Hofburgkapelle wurde für das Technische Museum moderat neu intoniert. Jetzt gilt sie als “Bruckner-Orgel”… Ist sie jetzt “noch” eine Kirchenorgel???

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