Leserbrief zum “Thema Riesiger Großorgeln”

Leserbrief
zur letzten Ausgabe des “Orgelforums” Nr.27 / September 2022
 
 
Nicht ohne Schmunzeln las ich die sogenannten Rezensionen zur Westemporenorgel des Wiener Stephansdomes im jüngsten Heft des Orgelforums. Mir steht diesbezüglich nur die Meinung eines interessierten Zuhörers zu, der zwar noch die alte Kauffmann als auch die große Chororgel Riegers live in Konzerten und Gottesdiensten spielte, nicht jedoch das jetzige Instrument, ich hörte es nur in zahlreichen Konzerten. Diese Orgel ist aber nicht Mittelpunkt meiner Betrachtung. Anknüpfend an den sehr klug geschriebenen Kommentar Peter Planyavskys möchte ich nur auf einige wenige andere Aspekte aufmerksam machen, die ich selbst an verschiedensten Domorgeln und “Riesenorgeln” erlebte.

Meist ist die Beurteilung eines Instrumentes mit so zahlreichen Klangmöglichkeiten im Rahmen einer Konzertvorbereitung schier unmöglich. Es ist eine Mischung aus selbständigem Ausprobieren, “Herantasten” im wahrsten Sinn des Wortes, aber vor allem auch das Vertrauen an die ortsansässigen Organisten und Assistenten, die ihre Instrumente im besten Fall seit Jahren kennen, deren Vorzüge aber auch die Tücken der Raumakustik, der Disposition, des Spieltisches oder auch anderer Faktoren, die auch Planyavsky beschrieb.

Mir selbst gelang es einmal in Notre Dame in Paris während einer nächtlichen Probe, mich in den Bourdon 8′ des Schwellwerks zu verlieben. Leider war dieser im Konzert am nächsten Tag nicht mehr hörbar, sondern wurde von Babygeschrei, Toristengetrappel und unangemeldeten Kirchenführungen absurdiert. Im “Wanamaker Store” in Philadelphia wurde mein Spiel dank Telefongeklingel kontakariert, das Kennenlernen der Orgel mit ihren sechs Manualen war unmöglich, da ein “Üben” nur in der Nacht möglich gewesen wäre – dies hätte allerdings mehrere “securities” benötigt, was unbezahlbar war. Diesbezüglich vertraute ich Keith Chapman, dem damaligen Organisten, der mich glücklich durch mein lunchtime recital chauffierte.

Auch in St. Sulpice in Paris geht ohne Daniel Roth oder seiner Assistenten gar nichts. Der Schwelltritt ist nicht für den Organisten, sondern nur für den rechten Spielhelfer gedacht. Die “Appels” und Koppeln sind ohne Vorbereitung zum Verständnis derer Funktionen nicht so schnell zu durchschauen. Die Funktionen zwischen Koppelmanual, Grand Orgue, Positif, Récit und Solo wollen gelernt sein.

Heutzutage sind große Orgeln angeblich benutzerfreundlicher. Benutzerfreundlichkeiten sind allerdings relativ. An der Orgel diese, an der anderen jene. Ein paar leuchtende Punkte über den Registerknöpfchen hier, auf der anderen Seite dort; einmal grün, einmal rot, einmal gar nicht.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Ein Principal ist ein Principal ist ein Principal.

Über eine große neue, restaurierte oder überarbeitete Orgel ist nicht vorschnell zu urteilen. Sie erschließt ihre Klangmöglichkeiten im besten Fall an der Lebensdauer ihrer Organisten und Organistinnen…
 
 
Thomas Schmögner

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *