Mit unterschiedlichen Gefühlen haben wir vom Ableben des Wiener Orgelbaumeisters Arnulf Klebel (geb. 30. 10. 1927, gest. 1. 2. 2018) erfahren. Familie, Freunde und Bekannte trafen sich zu einem eindrucksvollen Gedenkgottesdienst in der Pfarrkirche Pötzleinsdorf.
Arnulf Klebel war von seiner Umgebung in einer weiten Bandbreite wahrgenommen worden. Für einige war er einem Genie gleich, andere kritisierten die Dinge, die ihm nicht glückten, in überdimensionaler Weise.
Ich habe einen Freund verloren. Zurückhaltend mit dem DU-Wort, wie es sich für einen Orgelgutachter ziemt, gehörte er zu den nur drei Orgelbauern, mit denen ich das Du-Wort tauschte: Er, Franz Windtner und Wolfgang Rehn.
Seine Bekanntschaft machte ich im Zusammenhang mit meiner Dissertation. Bernhard und Gundi Klebel waren meine Studienkollegen an der damaligen Wiener Musikakademie. Gundi sang die Solo- (aber auch Chor-)partien bei meinen Orchestermessen in der Pfarrkirche St. Anton von Padua (1100 Wien). Für meine Dissertation über den Wiener Orgelbau war es nur selbstverständlich, dass ich mich an Arnulf wandte, um mir Kenntnisse auf dem Gebiet des Orgelbaus zu verschaffen. In der Folge verbrachte ich viele Stunden in der Werkstätte, ich ging in der Werkstätte aus und ein und verschaffte mir bei Arnulf ein Basiswissen.
Arnulf dozierte gerne, stundenlang. Einem Polyhistor gleich war Arnulf auf vielen Gebieten bewandert und gab dieses Wissen gerne weiter. Eine Episode aus der Erinnerung: er besuchte mich einmal in meiner damaligen Wohnung in Favoriten, kam um 17 Uhr und wir begannen in die Nacht hinein zu diskutieren. Morgens um 5 Uhr früh erschien meine Frau gleich einer Ahnfrau in der Zimmertür und meinte: “Könnts ihr nicht einmal aufhören, jetzt ists aber wirklich genug!.” Und Arnulf antwortete: “Nein gnädige Frau, wir sind da jetzt bei einem wichtigen Thema, da gehört noch ausdiskutiert!”
Diese stundenlangen Gespräche und die Anwesenheit in der Werkstätte machten mich zu einem “Schüler” Klebels, ja zu einem “Lehrling”: Ich war beim Entstehen der Orgel von Eggenburg dabei, bei der Restaurierung des Renaissancepositivs im Stift Kremsmünster (OÖ), bei der Entstehung der dreimanualigen Orgel in Wien-Pötzleinsdorf. Ich sah zu, stahl mit den Augen, nur “gewerkt” habe ich nicht. Und wenn Arnulf zu seinen Schülern zu sagen pflegte: “Ols wos da Schütz waß, hot er von mir”, hatte er teilweise sogar recht. Was Arnulf Klebel nicht wusste, waren meine vielen Lernprozesse bei Orgeltagungen, an den Instrumenten selbst und die Kontakte zu zahlreichen anderen Orgelbauern…
Als Klebel die Werkstätte einrichtete, bereitete er sich penibel vor, er untersuchte alle wichtigen Denkmalorgeln Österreichs und erstellte Befunde. Befunde über den Ist-Zustand und Vorbemerkungen über eine mögliche Restaurierung, Dieses Archiv ist heute in der Forschungsabteilung des Instituts für Orgel, Orgelforschung und Kirchenmusik an der Wiener Musikuniversität erhalten. Klebel hätte “der Orgelrestaurator Österreichs” werden können.
Klebel war ein Pionier. Zu einem Zeitpunkt, als in Wien noch pneumatisch und elektropneumatische Instrumente gebaut wurden, brachte er sein bei der Firma Metzler erworbenes Wissen um die mechanisch gesteuerte Schleiflade ein und baute unter anderen die erste dreimanualige Orgel mit mechanisch gesteuerten Schleifladen in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Pötzleinsdorfer Pfarrkirche. Für seine Schleifladen erfand er ein System für einen lebendigeren Wind mittels einer beweglich gesteuerten Bodenplatte.
Und als er die Pfliegler-Orgel in Maria Dreieichen restauriert hatte und als einer der Ersten eine historische Stimmung gelegt hatte, konnten mit der “verstimmten” Orgel die Organisten nichts anfangen (ich gehörte damals auch dazu…).
Die Restaurierung der Sieber-Orgel in der Wiener Michaelerkirche gelang ihm nicht. Vieles erwies sich als hinderlich, wurde von ihm zu zeitraubend penibel angegangen. Und wieder erinnere ich mich da an eine Episode. Der Fußboden des Chores war entfernt, um die Tragkonstruktion einsehen zu können. Ich lehnte mich in der Mitte des Chores an die niedrige Brüstung und plötzlich begann der Fußboden unter meinem schon damals beträchtlichen Gewicht zu schwingen: Abbruch der Arbeiten und zeitraubender Einbau einer Stahlkonstruktion!
Ja und es waren ja sechs Prinzipalregister zu rekonstruieren – eine Mensur musste gefunden werden. Klebel vermaß in Olmütz die C-Pfeife des einzig erhaltenen 32′-Prospektprinzipals von Sieber in einer abenteuerlichen Situation. Seinem Hang für alles Neue gemäß begann er hierauf mit einem der neuen Hewlett-Packard-Taschenrechner eine Methode zur Berechnung der Additionskonstante zu konstruieren. Die Zeitverzögerungen begannen für den Auftragsgeber unzumutbar zu werden. Eine feindselige Beurteilung des Ist-zustandes tat dann das Übrige: auch das muss einmal ausgesprochen werden – ich war ja dabei…
Klebel war in der Werkstätte, in der Fertigung, leider sehr abhängig von seinen Mitarbeitern, davon hing sehr die Qualität ab: es begann mit der Ära Derschmidt, es folgte die Ära Zölss, dann Donabaum und schließlich folgten leider nur mehr angelernte Kräfte…
Arnulf Klebel, ein Mann am Rande zum Genie, ein Mann als Polyhistor, ein Mann, der aber auch wenig Sinn für die Zeit aufbrachte, der sich in seiner Penibilität verzetteln konnte.
Beim Gedenkgottesdienst der Pötzleinsdorfer Pfarrkirche brachte Gottfried Zykan Klebels dreimanualiges Instrument zu schönem Erklingen: ein eindrucksvoller Abschied.
Karl Schütz